7. November 2014

DENKBILDER Regula Stämpfli über die Bilderflut und „ratternde Algorithmen“

– das Bild wurde aufgenommen von Norbert Waser-Casanova

 

Menschen sind zu bewundern, nicht zu verachten

Denkbild 28

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„Sie waschen sich nie, weil ihnen bei der Geburt hässliche Männer in schwarzen Gewändern Wasser über den Kopf schütten“, erzählt ein arabischer Gärtner über die Europäer in „Tausendundeine Nacht“. Der Gärtner irrte. Es war nicht die Taufe, sondern die Pest, die die Europäer vom Waschen abhielt. Aus arabischer Sicht sahen also die Europäer bis weit in die Neuzeit immer wie „Dreck- schweine“ aus, die sie überdies auch noch zu verspeisen pflegten. Soviel zur Diskussion, wer hier wann und wie rückständig ist. Die Pest raffte nicht nur einen Drittel der europäischen

 

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Bevölkerung dahin, sondern fütterte auch den Mörderwahn antisemitischer Pogrome, allen voran Basel. Jüdische Viertel wurden abgebrannt und ihre Bewohner dahingeschlachtet als ob sie es gewesen wären, die die Seuche verbreitet hätten! Kein Mittel wirkte: Menschen starben wie Fliegen. So wurden die Erkrankten oft von ihren eigenen Familien und Freunden im Stich gelassen, die Priester verweigerten den Beistand ähnlich wie einige einheimische Ärzte den Ebola-Kranken in Sierra Leone. Jede Seuche bringt Elend, Verzweiflung, ja das Böse hervor und doch: Ohne die Pest gäbe es Decamerone von Boccaccio nicht. Ohne Pest kein staatliches Gesund-

 

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heitswesen, keine öffentliche Hygiene, keine heiteren Novellen, die die Kultur über den Körper siegen lassen. Die Schönheit der drei Wasserhahnen im prächtigen Schloss Tarasp zeugen davon. Denn ginge es nur um die Funktion unterschiedlicher Wassertemperaturen, würden es einfache Rohre auch tun.. Deshalb schreibt Albert Camus in seiner grossartigen „Pest“: „Und um einfach zu sagen, was man in Plagen lernet: Nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern, als zu verachten gibt.“

 

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