10. April 2015

Wer sucht, die findet: Es darf gewimmelt werden

 – das Bild wurde aufgenommen von Olivia Item

DENKBILDER Regula Stämpfli über die Bilderflut und „ratternde Algorithmen“

Lieben Sie auch Wimmelbilder? Meist antreffbar in Kinderbüchern, tummeln sich dort unzählige lustige Gestalten auf Bauernhöfen, in Strassenschluchten oder im Freibad. Die Betrachterin muss dann in all dem Gewusel eine bestimmte Person oder ein Tier suchen. So ähnlich ergeht es Menschen, die einander auf Skipisten zu erkennen versuchen. Dort stürzen sich auch Massen von sonderbar gekleideten Zweibeinern tapfer einen Hang hinunter. Meist gekleidet wie ein Papagei, der in einem Farbtopf gebadet hat, gleichen sich die vermummten Skifahrer auf sonderbare Art und Weise.

Da gibt es keine Haar- oder Augenfarbe mehr, kein Alter und kein sonstiges menschliches Erkennungsmerkmal. Einzig die Farbkombination entscheidet über Freund oder Fremden. Wie die Zebras einander anhand der individuellen Streifenmuster erkennen, so entwickelt auch der Homo Skiensis erstaunliche Fähigkeiten der Kognition. Marineblaue Hose, grüne Jacke, weisser Helm = Ehepartner. Schwarze Hose, roter Overall = ältester Sohn. Oder war es doch umgekehrt? „Kleider machen Leute“ meinte einst Gottfried Keller. Nirgends trifft dies mehr und gleichzeitig weniger zu als auf der Skipiste. Denn wo im normalen Leben die Kleidung den Menschen und dessen Stellung in der Gesellschaft

konstituiert, verschleiert sie auf der Skipiste jedwede Herkunft und Aussehen. So gesehen ist der Wintersport egalitaristisch, indem er alle Menschen gleich macht. Zumindest, solange sie fahren. Denn auf der Hütte zeigt sich, wer Champagner trinkt und wer das eigens mitgebrachte Znüni verspeist. Und wenn nach Pistenschliessung der Eine in sein 5-Stern-Hotel chauffiert wird während der andere im überfüllten Skibus seinem kleinen Appartment entgegenstrebt, ist das soziale Gefälle endgültig wieder etabliert. Wer dabei die Glücklichere ist, sei dahingestellt. Ich jedenfalls liebe die Papageienwimmelbilder, in denen jeder alles sein kann und sein darf.

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