Jeder ist seines eigenen Glückes Schild
das Bild wurde aufgenommen von Michael Gebendorfer
DENKBILDER Regula Stämpfli über die Bilderflut und „ratternde Algorithmen“
Wer wann wo und wie irgendwo hingehen darf, war von Beginn weg eines der grossen Menschheitsthemen. So konnten sich Adam und Eva im Paradies zwar völlig frei und ungebunden verlustigen, doch ein einziger Ort war ihnen verboten: Der Baum der Erkenntnis. Auf dem Weg dahin stand nämlich ein Schild: „Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!“ Doch neben der Tafel hing bekanntlicherweise die Schlange, die den klaren Fingerzeig Gottes, relativierte und meinte. „Äuä (die Schlange kann auch Berndeutsch)! Gott weiss, dass, sobald Ihr davon esset euch die Augen aufgehen werden und Ihr wie Gott sein und wissen werdet, was gut und böse ist.“
Nun, wir wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist. Zudem hab ich geschummelt: Es gab im Paradies keine Schilder, umso wichtiger eben, dass wir heute soviele davon haben. Schauen wir nur auf unser Bild: Die Schilder sind in ihrer Vielfalt Polylemmata und stellen die Betrachterin sogar vor grundsätzliche Lebensfragen. Soll sie nun nach der geheimnisvollen Ferne streben (Arosa) oder doch die heimelige Nähe suchen (Meisersboden, Altstadt)? Soll sie über das Leben eher beim Krematorium oder doch in der Kathedrale nachdenken?
Vielleicht hätte der liebe Gott seine Warnung in einem Schilderwirrwarr verstecken sollen. Dann wären Adam und Eva gar nie in Versuchung gekommen, ausgerechnet den einzigen Baum, dessen Früchte sie nicht essen dürfen, so wichtig zu nehmen. Sie hätten ihn vor lauter Schilder schlicht übersehen! Oder der liebe Gott hätte es mit den alten Griechen halten können und die Menschen als Prüfung grad von Beginn weg auf eine Irrfahrt schicken statt sie mit einem fiesen Warnhinweis erst recht „gluschtig“ zu machen. Wie dem auch sei. Die Geschichte zeigt, dass Schilder zwar verschiedene Wege ausweisen können, doch wohin man letztlich geht, in der eigenen Entscheidung liegt.