6. März 2015

DENKBILDER Regula Stämpfli über die Bilderflut und „ratternde Algorithmen“

 – das Bild wurde aufgenommen von  Olivia  Item

Von der Plastikgeschichte zu den Plastikfrauen

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Seit in der Renaissance der Grund- stein zur modernen Archäologie gelegt wurde, buddeln sich Heerscharen von Wissenschaftlerinnen unermüdlich durch die Hinterlassenschaften ver- gangener Epochen. Bahnbrechende Ausgrabungen verschafften der Menschheit Zugang zu ägyptischen Pyramidengräbern, holten das antike Troja aus dem Reich der Poesie in die Wirklichkeit und liessen das Publikum ehrfürchtig erschauern beim Anblick der Himmelsscheibe von Nebra. Doch wirklich interessant wird es eigentlich erst beim Durchwühlen historischen Mülls. Da offenbaren sich Geschichten, die nicht nur repräsentativ, sondern

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regelrecht von „unten“ zu uns sprechen. Was wohl die Archäo- loginnen im 28. Jahrhundert finden werden? Die freudlosen Glaspaläste, deren Halbwertszeit nur 30 Jahre beträgt? Wohl kaum. Zeitungen, die von der Wichtigkeit der Tagespolitik erzählen? Pustekuchen, Papier zerfällt sofort. Algorithmen, die ganze Enzyklopädien zugänglich machten? Leider nein, denn es fehlen es fehlen langlebige Speichertechniken und Decodierung. Da sind wir doch alle froh über die Plastikberge, die wir hinterlassen! Die garantieren 100prozentige, verschandelte Ewigkeit. Zudem erzählt Plastik nicht nur Geschichte, sondern es formt via Nanopartikel in der Nahrungskette direkt die Menschen der Zukunft. Vom

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radioaktiven Müll ganz zu schweigen. Während unsere Vorfahren historischen Müll produzierten, die uns von ihren Ess- und Religionsgewohnheiten erzählen, hinterlassen wir den kommenden Generationen giftige Gegenwartsaufgaben. Wer vor der Zukunft so die Augen schliesst, zeigt, wie blind er für die Gegenwart ist. „Plastikfrauen“ nennt Hanna Rosin die Gefährtinnen in ihrem Buch über „Das Ende der Männer“ – wohl kein Zufall. Doch halt: Aus Brüssel kommen diese Woche fröhliche Nachrichten. Die EU „erlaubt“ ihren Mitgliedstaaten, Plastikbeutel zu besteuern und sogar zu verbieten. „No plastic“ ist die Devise. Ich hoffe doch, das gilt auch für Frauen.

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