Medienhaus der Zukunft: Lachende Orte & weinende Geschichten
– das Bild wurde aufgenommen von Olivia Item
DENKBILDER Regula Stämpfli über die Bilderflut und „ratternde Algorithmen“
Der liebevolle Psycho- analytiker und Bestseller- autor Irvin D. Yalom lässt den verschlossenen, schwierigen, hochin- telligenten Friedrich Nietzsche weinen: „Wenn eine meiner Tränen sprechen könnte, würde sie sagen… würde sie sagen…endlich frei! All diese Jahre hindurch eingesperrt! Dieser Mann, dieser vertrocknete, enge Mann, hat mir noch nie freien Lauf gelassen!“ Das neue Medienhaus in Chur hätte dem befreit weinenden Friedrich gefallen. Die Konzeption von Offenheit, Durchlässigkeit bei gleichzeitiger Stabilität inmitten der Berge und trotzdem alles andere als ländlich, ist ziemlich genial.
In:„Warum ich so gute Bücher schreibe“ beschreibt der übermütige Friedrich so en passant seinen Lieblingsleser oder Leserin (schliesslich vermutet er die Wahrheit im Weibe): „Wenn ich mir das Bild eines vollkommnen Lesers ausdenke, so wird immer ein Untier von Mut und Neugierde daraus, ausserdem noch etwas Biegsames, Listiges, Vorsichtiges, ein geborener Abenteurer und Entdecker.“ Wie wohl die Medien-“Schaffenden“ bei Nietzsche beschrieben worden wären? Wahrscheinlich mit dem Begriff „neugieronautisch“ vom zauberhaften stefan m.seydel/sms, der übrigens seinen Twitteraccount dissent.is/ auf Punkt, Komma und Leerstelle bringt. Zurück zu den Tränen von Nietzsche. Angesichts der digitalen Revolution müssten auch die traditionellen Medienhäuser in Therapie.
Vorzugsweise in Räumen wie diesen, hier im Bild. Und würden ihre Tränen sprechen können, flüsterten auch sie wahrscheinlich: „Endlich frei! Dieser trockene Mann namens Hierarchie, der Hagestolz von oben nach unten, die Trennung von Redaktion und Publikum, von Sender und Empfänger hat den Weg nach Wahrhaftigkeit und Vielfalt noch nie freien Lauf gelassen. Doch seit einigen Jahren ist klar: Endlich frei!“ Open Journalism nennt dies der Guardian-Chef Alan Rusbridger, der keine Angst mehr vor Papierverlust hat, sondern nur noch Freude an den Entwicklungen on-, off- zwischenline, die daran sind, alle Medien und Lebenswelten neu zu formen. Was bleibt sind Orte und Geschichten, die manchmal mit Tränen, manchmal mit Lachen begleitet werden.