Unterschätzte Giganten und Weltbeherrscher
– das Bild wurde aufgenommen von Norbert Waser-Casanova
DENKBILDER Regula Stämpfli über die Bilderflut und „ratternde Algorithmen“
Die Bündner sind ja bekannt dafür, aus Allem etwas Essbares zu machen. Pilze, Wurzeln, Kräuter, getrocknetes Fleisch, Beeren und Früchte, einfach alles findet in der Bünder Küche Verwendung, manchmal sogar auch Reste. So geht die Legende, dass die aus den Hosentaschen eines toten Bündner Söldners zurückgebrachten Nüsse im 14. Jahrhundert in der ersten Bündnertorte landeten. Ha!, stimmt natürlich nicht, sondern ist nur einer hallizunogenen Pilzfantasie zu verdanken.
Der Schriftsteller Peter Handke zum Beispiel ist ein wahrhaftiger und regelrechter „Pilzoman“. In seinen Büchern verstecken sich überall Pilze, manchmal ganz normal, oft aber „andersgelb“ oder auch „andersbraun“. Handke selber ist – wenn man seine seltsamen politischen Vorlieben beachtet – wie ein Pilz: mykologisch-mythologisch sozusagen. Pilze nötigen einem aber auch wirklich Respekt ab. Der Förster Peter Wohlleben beschreibt in seinem grandiosen Buch über „das geheime Leben der Bäume“ wie sich Bäume und Pilze schon vor Jahrmillionen Jahren zusammengetan haben.
Die Pilze haben indessen immer etwas von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, also Freund und Feind zugleich.Pilze sind übrigens auch einfach nur Pilze: Sie entziehen sich einer klaren Tier- oder Pflanzendefinition. Am ehesten gleichen die Pilze in ihrer Funktion einem Algorithmus, weil sie die Fähigkeit haben, alles mit allem zu verbinden. So bringt es ein Hallimasch in der Schweiz auf knapp einen halben Quadratkilometer Grösse und ist über 1000 Jahre alt. Ein anderer in Amerika wird sogar auf 2400 Jahre geschätzt, hat ein Gewicht von 600 Tonnen und ist neun Quadratkilometer gross! „Pilze sind damit die grössten bekannten Lebewesen der Erde“ hält Wohlleben fest. Also: Hut ab vor den Pilzen! Denn man kann grad in dieser Saison nicht mehr wirklich wissen, wieviel Pilz im Mensch oder umgekehrt steckt…