20. November 2015

Die verlassene Welt von gestern

– das Bild wurde aufgenommen von Michael Gebendorfer

DENKBILDER Regula Stämpfli über die Bilderflut und „ratternde Algorithmen“

1516 schrieb der Diplomat des schrecklichen „Blaubart“ (König Heinrich VIII) einen Bestseller. „Utopia“ hiess das Werk und beschrieb eine Art soziales Paradies: Volksbildung, kostenlose Spitäler, 6-Stunden-Tag, freie Berufswahl. Wer aber beim Fremdgehen erwischt wurde, musste mit der Todesstrafe rechnen. „Utopia“ mochte weder Geld noch Krieg. Trotzdem sicherte es sich seine Verteidigung und zwar durch den Kauf von … Eidgenossen. Zwar heissen die offiziell „Söldner“, doch im 14./15. Jh sind solche mit den Schweizern synonym. Derb, ungesittet, wild, ein Volk aus den Bergen, unempfindlich gegen gegen Hitze,Kälte und Strapazen.

Thomas Morus war zu seiner Lebzeiten nie in der Schweiz. Doch der Ruf der kriegerischen Bergler war legendär, wie Markus Somm sehr unterhaltsam in seinem Werk „Marignano“ erzählt.Seit Morus tauchen Schweizer immer wieder in der Literatur auf. Die sieben Bände von Harry Potter beispielsweise würden ohne „Gnomes“ und „Gringotts“ nicht funktionieren. Damit sind definitiv die Zwerge der Zürcher Bahnhofstrasse inklusive Bankfächer gemeint. Sogar James Bond verdankt sein Entstehen nur einer einer schönen, grossen, schlanken Schweizerin (sic!). Dies als Reminiszenz an die grosse Liebe von Ian Fleming. Der Bond-Erfinder musste sich nämlich im realen Leben zwischen geliebten „Swiss Girl“ oder Familienvermögen entscheiden und tat letzteres.

Die enttäuschte Schweizer-Ex erzählte deshalb ihrem leiblichen Sohn: „Eigentlich hast Du einen Bruder. Einen Bruder namens James Bond.“ Die leeren Hallen unter dem Churer Rathaus erinnerten mich in diesen schwierigen Terrorismus-Tagen an eine Welt von gestern: Als man noch Bücher mit dem Titel „Utopie“ verfasste, als man Zwergen einen gewissen Respekt zollte und als ein Schotte mit einer Schweizerin noch einen Helden zeugen konnte, der die Welt vor dem Bösen rettete.

 

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